Leserbrief zum Artikel: Bürgerbegehren: “Grünflächen erhalten” übergibt 60.000 Unterschriften

Den Schuss noch nicht gehört!

Ein Bürgerbegehren, das sich für den Erhalt von Grünflächen einsetzt, wird von Stadträten als „radikal“, „sinnfrei“ und „polemisch“ abgetan.
Und das in München, in der am meisten versiegelten Großstadt Deutschlands, in einer Zeit, in der mittlerweile doch wohl jeder begriffen hat, dass es den Klimawandel gibt, dass die Hitze in den Großstädten durch die Versiegelung unerträglich zunehmen wird und man zur Abkühlung nicht nur die vorhandenen Grünflächen schützen, sondern noch viel mehr Fläche entsiegeln müsste.
Wer schon lange in München lebt und die rege Bautätigkeit sowie den Verlust von immer mehr Grünfläche mit Sorge beobachtet, reibt sich verwundert die Augen: dass die SPD gegen ein derartiges Begehren ist, verwundert nicht, handelt es sich doch um die Partei, die sich am meisten für Bauen, Bauen, Bauen stark macht. Dass aber eine Partei, die das „Grün“ im Namen trägt, sich dagegen stellt und mit dem fadenscheinigen Argument „ man raube der Stadt jeglichen Gestaltungsspielraum“ davon ablenkt, dass auch ihr priorisiertes Ziel ist, zu Bauen, was das Zeug hält – und zwar nicht nur Wohnungen, sondern auch Büroräume und Gewerbeflächen, macht einen schon nachdenklich.

Es stimmt: Neue Firmen bringen der Stadt Gewerbesteuern, Zuzug generiert Einkommenssteuern – aber: gerade in der Schaffung von immer noch mehr Arbeitsplätzen, liegt doch die Wurzel des Problems: der Zuzug nach München wurde kräftig angekurbelt und sorgte nicht nur für zunehmende Flächenversieglung, sondern machte Wohnen in München auch immer teuerer. Mit Bauen, Bauen, Bauen versuchte die Stadt dieses Problem zu lösen. Dabei wurden jährlich Tausende Bäume gefällt und immer noch mehr Fläche versiegelt. Die Mieten sind dennoch gestiegen, die Schulden der Stadt auch.
Nun ist München an einer schmerzenden Schwelle des Wachstums angelangt, da eine begrenzte Fläche sich nun einmal nicht vermehren lässt.
Oder doch? Christian Müller/SPD rechnet vor, dass in München – trotz vieler neu ausgewiesener Baugebiete – auch die Grünflächen ständig zunehmen. Diese Rechnung geht ganz einfach: Brachflächen, ehemalige Bahngrundstücke und Flächen, die bisher nach dem Bauplanungsrecht zum sogenannten „Außenbereich“ zählten, werden zugebaut, das Begleitgrün zwischen den Häusern als neu geschaffene Grünfläche definiert und so die Grünflächenstatistik hochgerechnet.*

Auch Stadträte der CSU (→ Stadtratsanträge von StR Hammer und Reissl) versuchen den Begriff „Flächenversiegelnung“ so umzudeuten, dass am Ende ein kräftiger Zuzug zu weniger und nicht zu mehr Flächenversiegelung führen würde: nicht das Verhältnis „versiegelte Fläche zu Gesamtfläche“ soll ausschlaggebend sein, sondern „versiegelte Fläche“ geteilt durch die Anzahl der Einwohner. Die Taktik dahinter versteht jedes Kind: schon in der fünften Klasse lernt es in Bruchrechnen, dass eine Zahl um so kleiner wird, je größer der Nenner ist.
Dabei ginge es auch anders: Wissenschafttliche Untersuchungen zum Thema Klima und Flächenversiegelung beachten, eigene Ziele (Klimanotstand / Klimaneutralität bis 2035 / Bürgerbegehren Artensterben) wirklich anstreben, eigene, von der Stadt in Auftrag gegebene Studien zu Klimaresilienz, ernst nehmen (z.B. „Grüne Stadt der Zukunft“).
Im „Klimaanpassungskonzept für München“ heißt es z.B.: „Durch die dichte Bebauung und den hohen Versiegelungsgrad ergibt sich ein „Wärmeinseleffekt“ mit durchschnittlich 2-3 Grad Temperaturunterschied zum Umland, besonders groß ist der Unterschied nachts (bis zu 10 Grad Differenz)“.
Dies wird vielen Menschen das Leben kosten, wenn nicht gegengesteuert, also mehr Grünfläche zur Kühlung geschaffen wird und Frischluftschneisen nicht zugebaut werden.

Es wäre schon viel erreicht, wenn die folgenden, in einer Stadtratsvollversammlung gefassten Beschlüsse, auch in die Tat umgesetzt würden: „Erhalt und verstärkter Ausbau der Grünzüge“, „ Beispielhafter Ausbau klimaorientierter Grünflächen“ oder „Erhaltung und Inwertsetzung des Klima-Grüngürtels“**.
Einen großen Unterschied dieser Aussagen zum Text des Bürgerbegehrens kann ich nicht erkennen, außer, dass das Bürgerbegehren sich nicht mit Absichtserklärungen zufrieden geben wird. Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz manche unserer Stadträte auf ein Bürgerbegehren reagieren, das von 60 000 Münchnern unterschrieben wurde und das 60 Initiativen unterstützen. Was soll dieser Widerstand? Alle wissenschaftlichen Studien über eine klimaangepasste Stadt fordern nicht weniger, sondern mehr Grünflächen.

Zudem fragt man sich: für wen bauen wir hier eigentlich? Die Stadt München verliert – trotz der Bemühungen, durch die Schaffung von immer mehr Arbeitsplätzen, den Zuzug kräftig anzukurbeln – Jahr für Jahr Einwohner. Menschen fliehen aus der viel zu lauten, zugemüllten Stadt mit den überfüllten Straßen, U-Bahnen, Fahrradwegen, Kitas, Schulen und Grünflächen. Büroräume stehen frei, Kaufhäuser schließen und könnten zu Wohnungen umfunktioniert werden, ohne Grünflächen zu versiegeln.
Aber München weist immer noch Baugebiete für zig Tausende potentielle Neubürger aus.
Haben da einige Politiker den Schuss noch nicht gehört?

Sonja Sachsinger

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