Rathausumschau vom 10. August 2022: Schwammstadt: aus dem Planen ins Handeln kommen!

Schwammstadt: aus dem Planen ins Handeln kommen!
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 7.12.2021

Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz:

Mit Schreiben vom 7.12.2021 haben Sie den folgenden Antrag gestellt, der dem Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) mit der Bitte um weitere Bearbeitung zugeleitet wurde. Zunächst bedanke ich mich für die Fristverlängerung, die aufgrund der Abstimmungen mit dem beteiligten Baureferat nötig war.

Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:

Mit diesem Antrag fordern Sie die sofortige Umsetzung von Schwammstadt-Konzepten in der LH München, für die es grundlegende und international bereits jahrelang erprobte sowie effektive Maßnahmen gibt. Des Weiteren führen Sie auf, dass die Thematik der Schwammstadt in mehreren Konzepten der LH München, wie beispielsweise im „Grundsatzbeschluss I“, in den Zielen von „Klimaneutrales München 2035“ und im Forschungsprojekt „Grüne Stadt der Zukunft“ aufgeführt wird. Aus diesem Grund sei die Kritikalität und Bedeutung von Schwammstadt-Maßnahmen für die LH München unstrittig.

In Bezug auf den von Ihnen vorgelegten Sachverhalt nehmen wir wie folgt Stellung:

Vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Klima-Notstandsbeschlusses der Landeshauptstadt München vom 18.12.2019 werden die Gestaltung privater und öffentlicher Räume, der Anteil und die Verteilung von Grün- und Wasserflächen (Grün-Blaue-Infrastruktur) sowie eine wassersensible Stadtentwicklung auch künftig an Bedeutung gewinnen.
Zunehmende Hitzeextrema, länger andauernde Hitzeperioden, eine Veränderung der Niederschlagsmuster, -intensität und -häufigkeit (häufigere lokale Starkregenereignisse vor allem in den Sommermonaten, länger anhaltende Trockenperioden) sind bereits zu beobachten. Zudem wird von weiteren Veränderungen in der Zukunft ausgegangen. Die Landeshauptstadt München ist als Großstadt besonders empfindlich für die negativen Folgen des Klimawandels, da sich die thermischen Veränderungen durch den städtischen Wärmeinseleffekt stärker auswirken (bedingt durch Bebauung und Versiegelung) und Extremereignisse auf engem Raum eine hoheAnzahl an Bevölkerung und Infrastruktur treffen. Aufgrund der bereits spürbaren klimatischen Veränderungen durch den Klimawandel, der dichten Bebauung Münchens und des weiter anhaltenden Bevölkerungswachstums ist es für die Landeshauptstadt München wichtig, das Thema Anpassung an den Klimawandel proaktiv anzugehen.
Vor diesem Hintergrund hat das Referat für Klima- und Umweltschutz die Grundsatzbeschlüsse I (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03533) und II (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 05040) verfasst, um unter anderem die beiden Ziele „Klimaneutralität München 2035“ und „Klimaneutrale Stadtverwaltung und kommunale Unternehmen bis 2030“ erfolgreich in die Umsetzung zu bringen.

Der Grundsatzbeschluss I schafft damit die strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung der Klimastrategie. Wie bereits in Ihrem Antrag erwähnt, werden auch Themen zu Niederschlag und Schwammstadt behandelt und Maßnahmen aus diesem Bereich realisiert. Um beispielsweise den öffentlichen Raum durch Entsiegelung (Schwammstadt) und Baumpflanzungen (u.a. Verschattung) zu optimieren, sollen im Zuge der Verkehrswende die Flächen der bestehenden Straßenräume – wo immer möglich – zu Gunsten von Vegetations- und Aufenthaltsflächen neu aufgeteilt werden. Dies wird bei Neubauten im öffentlichen Raum (vgl. Antragspunkt 1), falls möglich, bereits umgesetzt. Wie in der Beantwortung der Antragspunkte 2 und 3 beschrieben, wird unter anderem auch die Erneuerung von Bestandsstraßen und die Niederschlagswasser-Versickerung in das Straßenbegleitgrün thematisiert. Eine detaillierte Antwort hierzu hat das Baureferat in der anschließenden Stellungnahme verfasst.

Im Grundsatzbeschluss II werden die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen im Klimaschutz im Rahmen einer Klimastrategie gebündelt und mit konkreten Umsetzungspfaden in den einzelnen Handlungsfeldern untermauert. Ziel ist es die Stadt in die Klimaneutralität zu führen und klimaresilient zu gestalten. In diesem Zusammenhang wird eine verstärkte Berücksichtigung des natürlichen, dezentralen und multifunktionalen Regenwassermanagements in der Stadtplanung thematisiert (vgl. auch Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 02590). Eine wichtige Rolle spielt unter anderem die Schaffung von Flächen für die lokale Berücksichtigung des Schwammstadt-Prinzips zur Rückhaltung des Niederschlagswassers (Grün-Blaue-Infrastruktur).

Um bereits frühzeitig auf die klimatischen Veränderungen zu reagieren, wird die Umsetzung von Grün-Blauer Infrastruktur sowie eine wassersensible Stadtentwicklung gefördert und weiter ausgebaut – auch vor dem Hintergrund, dass in der Landeshauptstadt München die Entwässerung von Niederschlagswasser grundsätzlich nicht über den Kanal vorgesehenist. Bei der Versickerung von Niederschlagswasser sind die in Bayern geltenden wasserrechtlichen Regeln zu beachten. Daher ist eine natürliche, dezentrale und multifunktionale Regenwasserversickerung bzw. Rückhalt (Retention) in Grün- und Freiflächen wichtig. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Entwässerung des anfallenden Niederschlagswassers innerhalb des Grundstücks priorisiert wird. Die Schlüsselstrategien einer wassersensiblen Stadtentwicklung (Schwammstadt-Prinzip) lauten: versickern, verdunsten, speichern, zurückhalten und über Notwasserwege ableiten. Verschiedene Maßnahmen (z.B. Retentionsdächer, Rasenmulden, Rückhalteteiche) mit hohem bis geringerem Wirkungspotential gewährleisten den Rückhalt, die Speicherung und Nutzung von Niederschlagswasser (z.B. für die Bewässerung von Pflanzen) an der Oberfläche. Es wird dadurch nicht nur das Risiko für Überstau und lokalen Überflutungen minimiert und somit das Schadenspotenzial reduziert, sondern sowohl die Grundwasserneubildung gefördert als auch das lokale Mikroklima verbessert. Insbesondere in hoch versiegelten Bereichen wird die kühlende Verdunstung intensiviert, da überschüssiges Niederschlagswasser idealerweise auch für die Bewässerung der Vegetation während Trockenperioden verwendet werden kann. Wichtig ist daher, ausreichend nicht versiegelte und nicht durch z.B. Tiefgaragen unterbaute Flächen bzw. ausreichend dimensionierte Grün- und Freiflächen zu erhalten bzw. vorzusehen. In Bebauungsplänen für Neubauten wird dies bereits frühzeitig in der Planung eingebracht.

Mit der derzeit stattfindenden Fortschreibung des Klimaanpassungskonzepts der Landeshauptstadt München nehmen die Maßnahmen im Bereich Niederschlag und Wasser, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum, einen hohen Stellenwert ein. Im privaten Raum wird beispielsweise durch gezielte Förderprogramme versucht, Begrünungsmaßnahmen im Bestand zu fördern und die Bevölkerung diesbezüglich zu sensibilisieren. Die Kombination aus Grün-Blauer-Infrastruktur spielt dabei eine entscheidende Rolle (z.B. Dachbegrünung und Retentionsdach). Insbesondere wenn größere Grün- und Freiflächen nur bedingt zur Verfügung stehen, leisten die Schaffung vieler kleinteiliger Maßnahmen der Grün-Blauen-Infrastruktur und deren Vernetzung einen wichtigen Beitrag für das nachhaltige Regenwassermanagement.

In diesem Zusammenhang leistet das BMBF-Projekt „Grüne Stadt der Zukunft – Klimaresiliente Quartiere in einer wachsenden Stadt“ (z.B. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 05585) einen wesentlichen Beitrag, an dem neben dem Referat für Klima- und Umweltschutz und dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung, die TU München, die LMU München und das IÖW (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung aus Berlin) beteiligtsind. In diesem Projekt wird unter anderem untersucht, wie Maßnahmen der Grün-Blauen Infrastruktur frühzeitiger und in allen Phasen der Stadtplanung bestmöglich verankert werden können. Nach dreijähriger Forschungs- und Entwicklungsphase, befindet sich das Projekt aktuell in der Umsetzungsphase (Laufzeit Dezember 2021 bis November 2023), in der die aus der F&E-Phase erworbenen Kenntnisse mittels praxisbezogener Beispiele in die Umsetzung überführt werden sollen. Neben stadtklimatischen Aspekten wird versucht, eine natürliche, dezentrale und multifunktionale Regenwasserbewirtschaftung im Sinne des Schwammstadt-Prinzips frühzeitiger in die Bauleitplanung zu integrieren. Die Ergebnisse aus der ersten Phase und weitere Informationen zum Projekt können unter https://www3.ls.tum.de/lapl/gruene-stadt-der-zukunft/publikationen/ abgerufen werden.

Derzeit setzt sich das Referat für Klima- und Umweltschutz verstärkt und in Zusammenarbeit mit den weiteren betroffenen Referaten und Fachstellen ein, die Belange des Starkregenmanagements und des Schwammstadt-Prinzips sowohl frühzeitiger als auch vertiefter in die Planung zu integrieren.

Im Folgenden nimmt das Baureferat zu den drei Antragspunkten wie folgt Stellung:

Antragspunkt 1:
Neu geplante und sanierungsbedürftige Plätze, wie z.B. Schulhöfe, Sport- und Parkplätze, sollen ab sofort unversiegelt und trotzdem gut nutzbar geplant werden. Ehemals versiegelte Flächen werden entsiegelt.

Antwort Baureferat:
„Für Schulhöfe und Freisportanlagen bestehen vielfältige funktionale und pädagogische Anforderungen, die auf den meist beengten, wenigen zur Verfügung stehenden Grundstücken umgesetzt werden müssen. Ziel ist eine auf den Schulbetrieb ausgerichtete Gestaltung, die zum einen die funktionalen Vorgaben erfüllt (Erschließungsflächen, Verkehrsparkours, Feuerwehrzufahrtsflächen, Fahrradabstellanlagen, usw.), zum anderen den Schülerinnen und Schülern einen hohen Spiel- und Aufenthaltswert und auch die Möglichkeit zum Naturerlebnis bietet. Um die ganzjährige Nutzbarkeit der Pausenflächen zu gewährleisten, ist die Verwendung von befestigen Belägen in Teilbereichen unerlässlich. Diese Beläge werden entweder mit wasserdurchlässigen Betonpflastermaterialien und/oder mit wasserdurchlässigen Fugen hergestellt. Überschüssiges Oberflächenwasser wird hierbei gezielt in benachbarte Vegetationsflächen und/oderin Rigolenanlagen abgeleitet, die das Wasser letztendlich wieder dem Grundwasser zuführen. Für die Beläge der Freisportanlagen (Kunststoffbeläge, Kunstrasenbeläge) gelten ähnliche Voraussetzungen. Die Beläge sind bis auf wenige Ausnahmen wasserdurchlässig und überschüssiges Oberflächenwasser wird entweder in die angrenzenden Vegetationsflächen abgeleitet oder gezielt versickert. Ein weiteres maßgebliches Element der Planung ist die Pflanzung möglichst vieler Bäume mit möglichst großem unterirdischem speicherfähigem Substratvolumen, welche die Rückhaltung von Wasser ermöglichen. Bäume an sich sind insbesondere in dichten, urbanen Bereichen mit geringen Flächenpotentialen die optimale Begrünung durch die Nutzung der dritten Dimension. Um optimale Rückhaltung des Regenwassers zu ermöglichen, realisiert das Baureferat im Zuge von Neu- oder Umbaumaßnahmen große Baumgruben mit bis zu 36m³, die mit speziellem wasserabsorbierenden Substrat befüllt werden. Durch Verdunstung von Wasser über die Blattoberfläche und durch Verschattung tragen Bäume zur Abkühlung bzw. geringerer Aufheizung von befestigten Flächen bei. Die Prinzipien der Schwammstadt werden somit beim Neubau und der Neugestaltung von Pausenhöfen durch die Stadt München bereits jetzt umgesetzt. Diese bestehen darin, für eine zuverlässige Entwässerung der befestigten Flächen zu sorgen als auch das Wasser oberflächennah zurückzuhalten, um Kühlung durch Verdunstung und die Bewässerung/verbesserte Wasserversorgung der Vegetation zu ermöglichen.“

Antragspunkt 2:
Bei jeder Erneuerung von Bestandsstraßen erfolgt eine Trennung von gesammeltem Niederschlags- und Schmutzwasser (WHG § 55 (2)).

Antwort Baureferat:
„Im Rahmen von Neu- und Umplanungen im Bestandsstraßennetz, die mit Eingriffen in das Entwässerungssystem verbunden sind, prüft das Baureferat in Zusammenarbeit mit der Münchner Stadtentwässerung intensiv, ob eine Abkopplung der Straßenentwässerung vom Kanal und eine Versickerung des Niederschlagswassers aus technischer und wasserrechtlicher Sicht möglich ist. Faktoren, die eine Versickerung des Niederschlagswassers beeinträchtigen können, sind z.B. im Untergrund vorhandene Bauwerke, Abstände zu Randbebauungen, Grundwasserflurabstand, undurchlässige Bodenschichten oder mangelnde Flächenverfügbarkeit zur Herstellung dezentraler angeordneter Versickerungsanlagen. Gemeinsames Ziel der am Planungsprozess beteiligten Akteure ist es, bei allen Neu- und Umbaumaßnahmen im Bestandsstraßennetz die Versickerung von Verkehrsflächenabflüssen gegenüber einer Kanaleinleitung grundsätzlichzu priorisieren, soweit die zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen im Umfeld der Maßnahme dies ermöglichen.“

Antragspunkt 3:
Soweit möglich, erfolgt bei jeder Erneuerung von Bestandsstraßen eine Niederschlagswasser-Versickerung in das Straßenbegleitgrün, da je nach Verkehrsbelastung 20 bis 30cm bewachsener Oberboden bereits eine ausreichend große Filterleistung hat.

Antwort Baureferat:
„Im Rahmen des Planungsprozesses für die Neu- und Umgestaltung von Bestandsstraßen ist die Art und Weise der Straßenentwässerung Bestandteil eines umfassenden Abwägungsprozesses zur Bewertung und Berücksichtigung der vielfältigen und unterschiedlichen Belange und Nutzungsanforderungen an den begrenzt zur Verfügung stehenden öffentlichen Raum, um die Mobilität und Verkehrssicherheit für alle Personen zu gewährleisten, Flächen für Lebensqualität, Aufenthalt und grüne Infrastruktur bereitzustellen und auch einen Beitrag zum Erreichen der städtischen Klimaziele zu leisten. Sofern ausreichend Flächen zur Verfügung stehen und keine wasserrechtlichen oder technischen Belange (z.B. Grundwasserflurabstand, undurchlässige Bodenschichten, Unterbauungen, Baumbestand etc.) einer Versickerung der Verkehrsflächenabflüsse grundsätzlich entgegen stehen, strebt das Baureferat bei einem Neubau oder einer Umgestaltung von Bestandsstraßen vorrangig die Umsetzung einer oberirdischen Versickerung des Niederschlagswassers über Mulden oder das Straßenbegleitgrün an. Um das anfallende Niederschlagswasser für den technisch vorgegebenen Bemessungsfall schadlos über Mulden versickern zu können, wird für eine vollständig versiegelte Fahrbahnfläche von ca. 80m² eine vertiefte Muldenfläche (-0,3m) von mind. 10m² benötigt. Bäume können hierbei nicht in der Mulde gepflanzt werden, sondern müssen erhöht über der Muldensohle stehen, so dass in diesem Fall ein zusätzlicher Flächenbedarf für die Muldenausbildung entsteht. Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit im öffentlichen Raum ist zudem die Ausführung von vertieften Mulden entlang von Längsparkbuchten nicht zulässig, da es hier zu einer Gefährdung aussteigender Personen durch die vertieften Bereiche (Sturzgefahr im Bewegungsradius) sowie durch die mögliche Vereisung stehenden Wassers in der Muldensohle kommen kann.

Aus den vorgenannten Gründen ist die Ausbildung oberirdischer Versickerungsbereiche nicht bei jeder Erneuerung von Bestandsstraßen möglich, insbesondere in den dicht bebauten und intensiv genutzten innerstädtischen Bereichen. Hier sind alternative Entwässerungsmethoden – vorran-gig dezentrale unterirdische Versickerungsanlagen – und in Ausnahmefällen, sofern keine andere Möglichkeit besteht (siehe Antwort zu Punkt 2), auch die Einleitung in die Kanalisation erforderlich.“

Und wieder einmal dauerte die Beantwortung von Anfragen über 6 Monate, obwohl lt. Oberbürgermeister Dieter Reiter, Anfragen an die Verwaltung innerhalb von 6 Wochen beantwortet sein sollten.

Foto: Vogelperspektive des Eggartens – auch das Stückchen Grün wird vernichtet und versiegelt!

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