Offener Brief anlässlich der Ergebnisse der Ideenwerkstatt zur SEM München-Nord

Stellungnahme Bündnis München-Nord

Sehr geehrte Frau Merk,

am Mittwoch, dem 19. März 2025 wurden in einer öffentlichen Informationsveranstaltung (Nelson-Mandela-Berufsoberschule) die „Visionen für den Münchner Norden aus der Ideenwerkstatt“ vorgestellt.

Erneut demonstrierten viele Mitbürger lautstark gegen die geplante SEM (obwohl nachmittags und in der Wochenmitte).

In der Veranstaltung verwiesen Sie auch noch auf den hohen Arbeitsaufwand im Zuge der SEM Planungen, obwohl selbstinitiiert und eben nicht auf dem ausdrücklichen Bürgerwillen basierend.
Von dem hohen finanziellen Aufwand mit Steuergeldern für Visionen (ohne klare Zielvorgabe bezüglich Bebauungsdichte oder Einwohner) ganz zu schweigen.
Dennoch war aus Ihrer Sicht die Ideenwerkstatt ein erfolgreiches Format, auf höchstem Niveau und transparent für alle. Ihr O-Ton in der SZ (03. März 2025)„Es war ein sehr direkter, sehr offener und sehr ehrlicher Dialog. Und das ist gut angekommen. Wobei sich allein durch das neuartige Konzept – die Ideenwerkstatt war die münchenweit erste ihrer Art – die Konflikte rund um die SEM-Nord natürlich nicht in Luft auflösen“.

Bürgerbeteiligung anhand physischer Präsenz: Nach Schätzung von mehreren Teilnehmern haben sich tatsächlich nur wenige Bürger (exklusiv Stadtangestellte) an den verschiedenen Veranstaltungen der Ideenwerkstatt beteiligt. So waren bei der Auftakt- und Abschlussveranstaltung nur ca. 50 – 100 Personen anwesend (von ca. 1,6 Millionen Einwohnern!).
Hierzu kommt, dass es sich bei den Veranstaltungen immer um die selben Personen gehandelt haben dürfte. Somit ist die vom Planungsreferat kommunizierte Anzahl von 1000 Besuchern irreführend, ganz im Gegensatz zu den zahlenmäßig belegten 1000 Demonstranten gegen die SEM im Rahmen der Bürgerversammlung des 24. Stadtbezirks am 20.11.2024.

Bei den laut Planungsreferat „hochkarätig“ und international besetzten Planungsteams handelte es sich um größtenteils ortsunkundige Personen, denen man in einer nächtlichen Busfahrt das Planungsgebiet näher bringen wollte. Diese Vorgehensweise mit Safari-Tour durch den wilden
Münchner Norden ist aus unserer Sicht an Absurdität nicht zu überbieten.
Das Bündnis München-Nord lehnt dieErgebnisse der Ideenwerkstatt mit den „Visionen“ der Planungsteams ab und begründet dies nachfolgend.

  1. Bündnis München-Nord konnte seine Forderungen nicht einbringen
    Die Interessen des Bündnis München-Nord und damit der Bevölkerung vor Ort, wurden völlig ignoriert. Ohne die Beteiligung der betroffenen Bürger wird über deren Zukunft bestimmt und entschieden.
    Im Rahmen der einwöchigen Ideenwerkstatt hatte das Bündnis München Nord genau 5 Minuten Zeit (wörtlich: „Die Zeit läuft … “) seine Anliegen vorzubringen. Ganze 5 Minuten, obwohl die Veranstaltungen sich über eine Woche hinzogen. Diese Vorgehensweise ist inakzeptabel und widerspricht demokratischen Gepflogenheiten.
  2. Vorgehensweise der Ideenwerkstatt nicht akzeptabel
    Vor der Ideenwerkstatt hätten grundsätzliche Punkte geklärt werden müssen:
    – Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe
    – Die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer
    – Sicherung von zukunftsfähiger Landwirtschaft und Gartenbau zur regionalen Versorgung
    – Die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten
    – Natur- und Umweltschutz
    – Erholungsgebiete und Grünflächen
    – Hydrogeologische Voraussetzungen
    – Stadtklima und regionaler Grünzug
    – Verkehrsplanungen
  3. Vorab-Klärung von möglicherweise zu bebauenden Gebieten
    3.1 Natur- und Umweltschutz
    Laut eines Gutachtens des Bund Naturschutz und Landesbund für Vogelschutz sind 5 der 6
    ausgewiesenen Flächen ungeeignet für eine Bebauung. Dem Natur- und Umweltschutz muss hier
    deshalb Vorrang eingeräumt werden.
    SEM-Nord: Flächen für Klima- und Naturschutz, Positionspapier BUND Naturschutz und Landesbund für
    Vogelschutz https://www.lbv-muenchen.de/fileadmin/user_upload/02_Was_wir_tun/02_09_Positionen/Positionspapier_SEM-Nord.pdf
    3.2 Hydrogeologisches Gutachten
    Die hydrogeologischen Besonderheiten dieses Gebietes sind zu beachten.
    Die vorliegenden Gutachten (Hydrogeologisches Gutachten vom 11.04.2022, Verfasser Dr. Blasy – Dr.
    Øverland Ingenieure GmbH) sind nur vorläufig und berücksichtigen die Auswirkungen auf bereits
    bebaute Gebiete nur unzureichend.Auch die zunehmenden Starkregenereignisse werden nicht ausreichend abgebildet.
    Die Grundwasserstände sind sehr hoch und nach starken Regenfällen kann das Grundwasser sogar
    über die Geländeoberkante steigen. Das Versickern von Niederschlägen wird u. a. durch das hoch
    anstehende Grundwasser verhindert.

    Im westlichen Stadtgebiet, vor allem in Feldmoching und in der Fasanerie, führt Starkregen mit
    Grundwasserhochständen in Hunderten von Fällen zu eindringendem Wasser in Häuser.
    Hierzu lautet der Beschluss des Ausschusses für Klima-und Umweltschutz vom 18.03.2025:
    „….Zusammenfassend zielen die genannten gesetzlichen Vorgaben auf den Schutz des Grundwassers
    und nicht auf den Schutz vor Grundwasser ab. Drückendes Grundwasser ist als „höhere Gewalt“
    einzustufen. Der Schutz vor Schäden durch Grundwasser liegt demnach in der Eigenverantwortung
    der jeweiligen Immobilienbesitzer*innen. Es obliegt also den Eigentümer*innen dafür Sorge zu
    tragen, dass ihre jeweiligen Gebäude gegen drückendes Grundwasser ausreichend abgedichtet sind.“
    „Das Referat für Klima und Umweltschutz wird beauftragt, weiterhin im Rahmen der
    wasserrechtlichen Verfahren sowie der Bauleitplanung darauf hinzuwirken, Eingriffe ins Grundwasser
    durch Bautätigkeit zu minimieren“……

    Bedeutet dies etwa, dass durch eine von der Stadt geplante Bebauung mit in der Folge
    überbordenden Grundwasserständen als „höhere Gewalt“ anzusehen ist?
    Bei seinerzeit baurechtlich genehmigten Bestandsbauten muss dieser Einschätzung klar
    widersprochen werden. Dem Grunde nach besteht hier eine schutzwürdige Position, somit bestehen
    Abwehrrechte gegenüber Aufstau und Umleitung von Grundwasser aus dem wasserrechtlichen
    Rücksichtnahmegebot (siehe auch Bay. Verwaltungsgerichthof, AZ 8 CS 21.2166 vom 09.11.2021).
    Fazit: Planungen in den vorgesehenen Gebieten sind daher zu unterlassen, denn sie schädigen im
    Bebauungsfall auch die umliegenden Bestandsgebäude.

  4. Stadtklima und regionaler Grünzug
    Der Münchener Norden verfügt über großflächige Kaltluftentstehungsgebiete und wichtige Austauschbereiche für Kaltluft. Diese sind im Hinblick auf die Klimaerwärmung unbedingt zu erhalten.
    Der regionale Grünzug muss in der heutigen Form erhalten bleiben.
  5. Verkehrsplanungen
    Das Verkehrs-Gutachten (Verkehrsplanerisches Gutachten – Teil 1 vom 25.11.2021, INOVAPLAN
    GmbH und Verkehrsplanerisches Gutachten – Teil 2 vom 28.08.2023, INOVAPLAN GmbH und
    Ramboll) geht von einer Höhenfreimachung der 3 Bahnübergänge im Planungsgebiet sowie einem
    Autobahnanschluss an die A99 aus. Darüberhinaus beinhalten die Planungen den Ausbau von U-
    Bahn, S-Bahn oder Tram.
    Alles nur Visionen, die in überschaubaren Zeiträumen nicht realisierbar sind. Hierzu sei als Beispiel
    auf das Neubaugebiet Freiham verwiesen:
    Auf Initiative des Stadtrats legte das Referat für Stadtplanung und Bauordnung am 14. Juli 1982 ein
    „Entwicklungskonzept Bebauung Freiham“ vor, das 5.000 bis 6.000 Wohnungen und Gewerbebebauung einerseits sowie eine Erhaltung der Landschaft am Stadtrand andererseits vorsah.
    Nach mehr als 42 Jahren ist bis heute die verkehrliche Anbindung Freihams völlig ungeklärt. Weder ist die U5-Anbindung finanziert noch terminiert, die Tram-Anbindung gilt als unwahrscheinlich und der viergleisige Ausbau der S-Bahn ist nicht vorhersehbar. Zudem ist die Anzahl der Gesamtwohnungen stark gestiegen. In den nächsten 20 Jahren wird es in Freiham keine ÖPNV-Verbesserungen geben, von Bussen abgesehen.
    Fazit: Alle Planungen müssen auf der derzeitig vorhandenen und schon jetzt überlasteten Infrastruktur aufsetzen. Eine weitere Bebauung setzt voraus, dass ein umfassendes Infrastrukturkonzept erstellt und dessen Finanzierung gesichert sein muss.

Zusammenfassung

Eine Vielzahl von Gründen, wie oben erläutert, veranlasst das Bündnis München Nord die Visionen aus der Ideenwerkstatt als Grundlage für weitere Planungen abzulehnen.
Äußerst bedenklich sehen wir zudem, wenn nationale und internationale Planungsteam innerhalb einer Woche derartige folgenreiche Entwicklungen andenken sollen, ohne über stadtbezirksbezogene, münchenweite oder umlandspezifische Kenntnisse zu verfügen. Einen neuen Stadtteil zu planen ist ohne Hintergrundwissen nicht möglich!

Bauen am Stadtrand ist nicht nur aus ökologischen Gründen (Frischluft, Abkühlung) sondern auch aus ökonomischen Gründen grundsätzlich abzulehnen, denn während man bei der Innenstadtverdichtung die bereits vorhandene Infrastruktur wie Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Ärztehäuser, Pflegeeinrichtungen usw., aber auch Straßen, Radwege und ÖPNV mit nutzen kann, müssen diese bei der Ausweisung von Baugebieten am Stadtrand erst neu gebaut werden. Ebenso Anschlüsse an die Kanalisation, das Wasser-, Wärme- und Stromnetz.

Als einzige Alternative zur SEM erwähnen Sie die von Ihnen sogenannte „Briefmarkenbebauung“, also das sukzessive Ausweisen kleinerer Baugebiete. Sie ignorieren völlig den Bürgerwillen, vorgebracht vom Vorsitzenden des BA 24 und dokumentiert durch zahlreiche Abstimmungen bei Bürgerversammlungen, in diesem sensiblen SEM-Gebiet keine weiteren Baugebiete auszuweisen.

Auch Ihr Argument zur Wohnungsnot „die Bürger, die in München eine Wohnung suchen sind nicht hier“ kann man nicht gelten lassen, denn die Versammlung war öffentlich und bekannt. Aber wie bereits erwähnt, war das Bürgerinteresse an der Ideenwerkstatt generell äußerst gering.

Im Übrigen wurde von Herrn Bacherl, dem Leiter der Hauptabteilung II (Stadtplanung) im Referat für Stadtplanung und Bauordnung, bei dieser Veranstaltung wie auch schon zuvor bestätigt, dass die akute Wohnungsnot durch die bereits bestehenden und in der Planung befindlichen Bauprojekte abgedeckt ist. Es geht bei der SEM nur um den weit in die Zukunft projizierten Wohnungsbedarf von Neubürgern, also ein gewolltes Stadtwachstum!

Wir fordern:

  • den Erhalt unserer Grünflächen und Äcker
  • Versorgungssicherheit durch landwirtschaftliche Produkte „von hier“ mit kurzen Lieferwegen
  • die Berücksichtigung der Gutachten von BUND Naturschutz und Landesbund für Vogelschutz,
    denen zufolge nur ca. 5 % der Planungsfläche bebaut werden können
  • den Erhalt der Frischluftschneisen und der Kaltluftentstehungsgebiete für ein gesundes Stadtklima
  • die Sicherung der Naherholungsgebiete für alle Münchnerinnen und Münchner
  • nur noch moderate Bebauung, die sich in das Ortsbild einfügt und den 24. Stadtbezirk mit seinen Traditionen leben lässt
  • den weitestgehenden Ausschluss von Flächen mit großer Hochwassergefährdung als Siedlungsflächen

Weitere Informationen: https://www.buendnis-muenchen-nord.de/
Pressekontakt Bündnis München-Nord:
Reinhard Sachsinger
E-Mail: info@buendnis-muenchen-nord.de
Mit freundlichen Grüßen
Bündnis München-Nord

Foto: © LHM, Referat für Stadtplanung und Bauordnung aus der Ideenwerkstatt

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