Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter,
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter,
der Münchner Stadtrat hat auf die Herausforderungen aus den aktuell drängenden Problemen: Klimawandel,
anhaltender Wachstumsdruck, hohe Mieten, steigende Bodenpreise und Mangel an bezahlbaren Wohnungen,
reagiert. Es wurden wichtige und richtige Ziele und Strategien für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung in
München formuliert.
So etwa im Faltblatt „Die nachhaltige Stadt“ (PlanTreff, Februar 2021): „...Die Landeshauptstadt München
möchte bis 2035 nicht nur klimaneutral sein, sondern muss sich auch auf noch weiter steigende Temperaturen,
längere Trockenphasen und mehr Starkregenfälle einstellen (...) München stärkt seine Freiräume, teilt den
öffentlichen Raum neu auf und setzt auf die Teilhabe aller. Die Stadt fördert eine nachhaltige Mobilität und
entwickelt ihre Quartiere klimaneutral. Sie schafft bezahlbaren Wohnraum, sichert Standorte für Unternehmen
und sorgt dafür, dass wir einen guten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben – für eine
nachhaltige Stadt von morgen...“.
Dies begrüßen wir! Was jedoch die derzeitigen Hochhausplanungen betrifft, wie beispielsweise das Projekt
rund um die Paketposthalle oder die jüngst verabschiedete Hochhausstudie, zeigen sich eklatante Widersprüche
zu obigen Zielen der Stadtentwicklung. Wir sind der Meinung, dass hier Korrekturen notwendig sind.
Deshalb wenden wir uns mit diesem „Offenen Brief“ an Sie persönlich. Ein Abdruck des Schreibens geht auch
an alle Stadträtinnen und Stadträte sowie an die Stadtbaurätin Prof. Dr. Merk, die Referentin für Klima- und
Umweltschutz Frau Kugler und den Leiter des Mobilitätsreferats Herrn Dunkel.
Ein Jahr Hochhausstudie: Lösung für die Wohnungsnot oder Einfallstor für Investoreninteressen?
Im Jahr 2023 wurden neue Leitlinien für den Umgang mit Hochhäusern beschlossen: die Hochhausstudie
legte in der ganzen Stadt Potenzialzonen für Aufstockung, Hochhäuser und Wolkenkratzer fest.
Schon damals gab es vielfach Kritik an der Studie und Warnungen vor den möglichen Folgen: stadtklimatische
und stadtgestalterische Beeinträchtigungen, Konflikte mit den Zielen zur Klimaneutralität, Resilienz und
nachhaltigen Bauweise und vor allem mögliche Boden-/Mietpreissteigerungen sowie der Bruch mit der
baukulturellen Identität: „München ist keine Hochhausstadt“.
Fakten zu Hochhäusern
Zur Erinnerung: Ein Gebäude gilt baurechtlich als Hochhaus, wenn der Boden des obersten Stockwerks
mindestens 22 m über dem Grund liegt. Dann treten strenge Vorschriften in Kraft, z.B. beim Brandschutz.
Beim Hochhausbau verliert der Bauherr für Aufzug- und Versorgungsschächte und zusätzliche Fluchtwege
viel Nutzfläche, statisch und technisch wachsen die Anforderungen mit der Höhe, wie auch der Material-
verbrauch und Energieeinsatz. All das macht den Bau von Hochhäusern sehr teuer und unökologisch.
Besonders ab einer Höhe von 60 Metern ist eine ökologische und gemeinwohlorientierte Realisierung zum
aktuellen Stand kaum noch möglich. Gleichzeitig lässt sich das Wohnen über der Stadt besonders lukrativ
vermarkten. In Wolkenkratzern entstehen in der Regel hochpreisige Wohnungen oder Büroflächen. Auch
die vermeintliche Flächenersparnis relativiert sich, wenn man die großen Aufzug- und Versorgungsschächte
und Fluchtwege abzieht. Dazu kommt, dass Hochhäuser und Wolkenkratzer Abstandsflächen einhalten
sollen, damit wir nicht „im Schatten“ leben.
Es droht die Gefahr weiter steigender Bodenpreise: Grundstücke, auf denen besonders hoch und somit
viel Geschossfläche gebaut werden darf, steigen deutlich im Wert. Das zieht die Bodenpreise zusätzlich
nach oben und, wenn wir in München eines nicht gebrauchen können, sind es noch mehr Preissteigerungen
am Immobilienmarkt. Denn ohne bezahlbaren Grund entsteht auch kein bezahlbarer Wohnraum.
Zwischenfazit: Niemand kritisiert ein paar Stockwerke mehr, Wolkenkratzer werden allerdings weder die
Wohnraumproblematik lösen noch städtebauliche Qualität bringen.
Versprechen der Stadtpolitik…
Nun ist mehr als ein Jahr vergangen, seit der Stadtrat die neuen Hochhausleitlinien beschlossen und eine
wahre Hochhauseuphorie ausgelöst hat, deren exemplarisches Beispiel die Pläne am Paketpostareal sind.
Zeit, einmal einen Blick auf die aktuelle Hochhaussituation in München zu werfen. Als Reaktion auf die
Kritik hat die Rathaus-Koalition einen Änderungsantrag zur Hochhausstudie beschlossen, mit dem die
Mehrwerte geplanter Hochhäuser und Wolkenkratzer für die Stadtgesellschaft sichergestellt werden sollen.
Darin legt sie vor allem fest: „...Reine Bürohochhäuser werden grundsätzlich nicht angestrebt“, sondern
„nutzungsgemischte Hochhäuser, die bezahlbares Wohnen nach der SoBon oder dem preisgedämpften
Mietwohnungsbau im Hochhaus selbst ermöglichen und auch soziale Infrastruktur beherbergen...“ 1 )
… im Spiegel der Realität
Seitdem wurde z.B. das Projekt „Die Schmiede“ am Frankfurter Ring genehmigt: ein Gewerbe- und
Bürostandort mit einem 99 Meter hohen Büro-Turm – von Wohnen, gar bezahlbarem, keine Spur. 2 )
Am Richard-Strauss-Ring wiederum baut die Bayerische Versorgungskammer einen 100-m-Turm mit
Büronutzung, Gastronomie und einer Kita. 3) Die BVK versprach, an anderer Stelle Wohnraum zu
schaffen – nicht aber im Hochhaus. 4 )
Die Planungen an der Paketposthalle, wo der Investor Ralf Büschl ein „dichtes und urbanes“ Quartier
inklusive zweier über 150 Meter hoher Zwillingstürme schaffen will, sind wohl das prominenteste
Beispiel und bergen ebenfalls große städtebauliche Risiken.
… Paketpost-Areal – eklatante Widersprüche zum Ziel „lebenswerte nachhaltige Quartiere“
Bauliche Dichte allein macht noch kein funktionierendes Stadtquartier, beim Paketpost-Areal wurde
sie ins Extrem gesteigert: Die Geschossflächenzahl, die die geplante Geschossfläche im Verhältnis zur
Grundstücksfläche angibt, erreicht hier schwindelerregende 5,5 5) - ein in München noch nie erreichtes Maß.
Damit wurden Investor Ralf Büschl zigtausend Quadratmeter Geschossfläche „geschenkt“, die ein lukratives
handelbares Gut darstellen. Im Gegenzug soll er die denkmalgeschützte Paketposthalle sanieren, zugänglich
machen und betreiben. Geförderte Wohnungen werden in den (ebenfalls sehr dichten Geschossbauten)
entstehen, in den Wolkenkratzern sind vor allem freifinanzierte Wohnungen vorgesehen und solche für
Menschen, die in Mangelberufen arbeiten (unklar bleibt allerdings, wie viele) – dafür wird aber ein
„Concierge-Service“6) schon erwähnt. Der Bereich unmittelbar vor den beiden Wolkenkratzern ist für
einen längeren Aufenthalt vor allem wegen der für Hochhäuser typischen Fallwinde „weniger geeignet“ 7),
so das Windgutachten.
- https://risi.muenchen.de/risi/sitzungsvorlage/detail/7430737
2 )https://www.innovationsschmiede-ffr.de/
- https://stadt.muenchen.de/infos/buerokomplex-richard-strauss-strasse.html
- https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/in-muenchen-praegen-bald-drei-imposante-tuerme-das-stadtbild-art-980213
- Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2147, S. 41
- Ebd., S. 34
- Ebd., S. 80
Viele Fragen sind noch ungeklärt, wie z.B. die Funktionsfähigkeit der Erschließung des Quartiers sowie
die „autofreie“ Abwicklung des Verkehrs an der Oberfläche, die Leistungsfähigkeit des vorhandenen
Straßennetzes oder der Zugang zur S-Bahnstation. Aber eines ist absehbar: mit der zu hohen Baudichte, zu
wenig Freiraum, kaum nutzbarem Grün sind Nachbarschaftskonflikte und „Dichtestress“ vorprogrammiert
und zusammen mit der hohen Versiegelung (dreistöckige Tiefgarage unter großen Teilen des Areals) sowie
mangelnden Auffangkapazitäten für Regenwasser wird hier eine „Hitzeinsel“ entstehen und bei Starkregen
ist mit Problemen beim Abfließen und Versickern des Wassers zu rechnen. Die angestrebten Qualitäten in
einem „lebenswerten, sozial- und nutzungsgemischten, resilienten, nachhaltigen Quartier“ werden mit
dieser Planung nicht erreichbar sein.
Fazit: lieber mit Bedacht und Augenmaß
Die Beispiele zeigen, dass die selbst auferlegten Leitlinien der Hochhausstudie nur teils oder gar nicht
eingehalten werden. Das wirft die Frage nach dem Wert der Leitlinien auf und zeigt zugleich, dass die
vollmundigen Versprechungen der Realität nicht standhalten können und sich größtenteils in Luft auflösen.
Hochhäuser und Wolkenkratzer werden die Wohnraumkrise nicht lösen. In ihnen entstehen in der Regel
hochpreisige Wohnungen, sie können das Stadtbild erheblich beeinträchtigen und sie sind aufgrund der
hohen Bauanforderungen und Flächenverluste – wie inzwischen vielfach untersucht8)– ein ökologisches
Fiasko. Klassische Quartiere in Blockrandbauweise, wie in der Münchner Innenstadt und den sogenannten
Innenstadtrandgebieten wie Neuhausen, Schwabing, Haidhausen etc. schaffen eine urbane Dichte und
Lebensqualität ohne die negativen Begleiterscheinungen.
Unsere Forderung an eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung...
Die Bodenpreisspirale darf durch eine deregulierte Hochhauspolitik nicht noch weiter angeheizt werden.
Das Stadtbild Münchens ist darüber hinaus ein wertvolles Gut, mit dem behutsam umgegangen werden muss.
Zu hohe städtebauliche Dichten mit zu geringen nutzbaren Grün- und Freiräumen sind zu vermeiden.
Hochhäuser in München sollten die 60-Meter-Marke nicht überschreiten und nur dann entstehen, wenn sie
die gesellschaftlichen Mehrwerte bezahlbaren Wohnens und städtebaulicher Qualitäten nachweislich bringen.
Die Klimakrise darf durch eine enthemmte Bautätigkeit für Hochhäuser nicht weiter befeuert werden.
München wird nicht durch Wolkenkratzer zur Weltstadt, sondern durch eine am Gemeinwohl orientierte,
zukunftsgerichtete, soziale, ökologische und inklusive Stadtentwicklung.
… bedeutet konkret für das „Paketpost-Areal“ ...
Damit die Ziele für ein lebenswertes Quartier umgesetzt werden können, fordern wir eine deutliche
Reduzierung der Geschossflächen im Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2147 „Paketpost-Areal“,
um die maximal zulässige Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,0 im Urbanen Gebiet (MU) gemäß
Baunutzungsverordnung §17 einzuhalten. Es sollte keine Hochhäuser über 60 m geben und die beiden
Hochhaustürme mit je über 150 m dürfen nicht gebaut werden. Darüber hinaus sind erheblich mehr
Grün- und Freiflächen auf dem Areal zu realisieren (mindesten vier- bis fünfmal mehr als geplant).
… zur „neuen Hochhausstudie“ (2023)
Der Stadtratsbeschluss zur Hochhausstudie muss revidiert werden, im „Räumlichen Leitplan“ der Studie
darf es keine „Potenzialgebiete“ mit Hochhäusern über 60 m geben. Unser Vorschlag: Die dort dargestellten
Höhenkategorien 4 („Stadtteilzeichen; bis 80 m Höhe“) und 5 („Stadtzeichen; ab 80 m Höhe“) werden aus
dem „Räumlichen Leitplan“ entfernt. Die mit diesen Höhenkategorien eingefärbten Zonen werden der
Höhenkategorie 3 („Quartierszeichen; bis 150 % Überhöhung gegenüber der Traufhöhe“) zugeordnet.
8 ) https://www.br.de/nachrichten/wissen/nein-beton-hochhaeuser-sind-nicht-nachhaltig-ein-aktenfuchs,UHRpGeq
Mit freundlichen Grüßen
%%Deine Unterschrift%%