Offener Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter: Keine „hohen Hochhäuser“ um jeden Preis – für eine nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung in München

20.12.24_neu-online_OB Brief mit Unterschriften_Brandt, Heller

Offener Brief an den Oberbürgermeister Dieter Reiter

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter,

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter,

der Münchner Stadtrat hat auf die Herausforderungen aus den aktuell drängenden Problemen: Klimawandel, anhaltender Wachstumsdruck, hohe Mieten, steigende Bodenpreise und Mangel an bezahlbaren Wohnungen, reagiert. Es wurden wichtige und richtige Ziele und Strategien für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung in München formuliert. So etwa im Faltblatt „Die nachhaltige Stadt“ (PlanTreff, Februar 2021): „...Die Landeshauptstadt München möchte bis 2035 nicht nur klimaneutral sein, sondern muss sich auch auf noch weiter steigende Temperaturen, längere Trockenphasen und mehr Starkregenfälle einstellen (...) München stärkt seine Freiräume, teilt den öffentlichen Raum neu auf und setzt auf die Teilhabe aller. Die Stadt fördert eine nachhaltige Mobilität und entwickelt ihre Quartiere klimaneutral. Sie schafft bezahlbaren Wohnraum, sichert Standorte für Unternehmen und sorgt dafür, dass wir einen guten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben – für eine nachhaltige Stadt von morgen...“. Dies begrüßen wir! Was jedoch die derzeitigen Hochhausplanungen betrifft, wie beispielsweise das Projekt rund um die Paketposthalle oder die jüngst verabschiedete Hochhausstudie, zeigen sich eklatante Widersprüche zu obigen Zielen der Stadtentwicklung. Wir sind der Meinung, dass hier Korrekturen notwendig sind. Deshalb wenden wir uns mit diesem „Offenen Brief“ an Sie persönlich. Ein Abdruck des Schreibens geht auch an alle Stadträtinnen und Stadträte sowie an die Stadtbaurätin Prof. Dr. Merk, die Referentin für Klima- und Umweltschutz Frau Kugler und den Leiter des Mobilitätsreferats Herrn Dunkel. Ein Jahr Hochhausstudie: Lösung für die Wohnungsnot oder Einfallstor für Investoreninteressen? Im Jahr 2023 wurden neue Leitlinien für den Umgang mit Hochhäusern beschlossen: die Hochhausstudie legte in der ganzen Stadt Potenzialzonen für Aufstockung, Hochhäuser und Wolkenkratzer fest. Schon damals gab es vielfach Kritik an der Studie und Warnungen vor den möglichen Folgen: stadtklimatische und stadtgestalterische Beeinträchtigungen, Konflikte mit den Zielen zur Klimaneutralität, Resilienz und nachhaltigen Bauweise und vor allem mögliche Boden-/Mietpreissteigerungen sowie der Bruch mit der baukulturellen Identität: „München ist keine Hochhausstadt“.

Fakten zu Hochhäusern Zur Erinnerung: Ein Gebäude gilt baurechtlich als Hochhaus, wenn der Boden des obersten Stockwerks mindestens 22 m über dem Grund liegt. Dann treten strenge Vorschriften in Kraft, z.B. beim Brandschutz. Beim Hochhausbau verliert der Bauherr für Aufzug- und Versorgungsschächte und zusätzliche Fluchtwege viel Nutzfläche, statisch und technisch wachsen die Anforderungen mit der Höhe, wie auch der Material- verbrauch und Energieeinsatz. All das macht den Bau von Hochhäusern sehr teuer und unökologisch. Besonders ab einer Höhe von 60 Metern ist eine ökologische und gemeinwohlorientierte Realisierung zum aktuellen Stand kaum noch möglich. Gleichzeitig lässt sich das Wohnen über der Stadt besonders lukrativ vermarkten. In Wolkenkratzern entstehen in der Regel hochpreisige Wohnungen oder Büroflächen. Auch die vermeintliche Flächenersparnis relativiert sich, wenn man die großen Aufzug- und Versorgungsschächte und Fluchtwege abzieht. Dazu kommt, dass Hochhäuser und Wolkenkratzer Abstandsflächen einhalten sollen, damit wir nicht „im Schatten“ leben.

Es droht die Gefahr weiter steigender Bodenpreise: Grundstücke, auf denen besonders hoch und somit viel Geschossfläche gebaut werden darf, steigen deutlich im Wert. Das zieht die Bodenpreise zusätzlich nach oben und, wenn wir in München eines nicht gebrauchen können, sind es noch mehr Preissteigerungen am Immobilienmarkt. Denn ohne bezahlbaren Grund entsteht auch kein bezahlbarer Wohnraum. Zwischenfazit: Niemand kritisiert ein paar Stockwerke mehr, Wolkenkratzer werden allerdings weder die Wohnraumproblematik lösen noch städtebauliche Qualität bringen. Versprechen der Stadtpolitik…

Nun ist mehr als ein Jahr vergangen, seit der Stadtrat die neuen Hochhausleitlinien beschlossen und eine wahre Hochhauseuphorie ausgelöst hat, deren exemplarisches Beispiel die Pläne am Paketpostareal sind. Zeit, einmal einen Blick auf die aktuelle Hochhaussituation in München zu werfen. Als Reaktion auf die Kritik hat die Rathaus-Koalition einen Änderungsantrag zur Hochhausstudie beschlossen, mit dem die Mehrwerte geplanter Hochhäuser und Wolkenkratzer für die Stadtgesellschaft sichergestellt werden sollen. Darin legt sie vor allem fest: „...Reine Bürohochhäuser werden grundsätzlich nicht angestrebt“, sondern „nutzungsgemischte Hochhäuser, die bezahlbares Wohnen nach der SoBon oder dem preisgedämpften Mietwohnungsbau im Hochhaus selbst ermöglichen und auch soziale Infrastruktur beherbergen...“ 1 )

… im Spiegel der Realität

Seitdem wurde z.B. das Projekt „Die Schmiede“ am Frankfurter Ring genehmigt: ein Gewerbe- und Bürostandort mit einem 99 Meter hohen Büro-Turm – von Wohnen, gar bezahlbarem, keine Spur. 2 ) Am Richard-Strauss-Ring wiederum baut die Bayerische Versorgungskammer einen 100-m-Turm mit Büronutzung, Gastronomie und einer Kita. 3) Die BVK versprach, an anderer Stelle Wohnraum zu schaffen – nicht aber im Hochhaus. 4 ) Die Planungen an der Paketposthalle, wo der Investor Ralf Büschl ein „dichtes und urbanes“ Quartier inklusive zweier über 150 Meter hoher Zwillingstürme schaffen will, sind wohl das prominenteste Beispiel und bergen ebenfalls große städtebauliche Risiken. … Paketpost-Areal – eklatante Widersprüche zum Ziel „lebenswerte nachhaltige Quartiere“ Bauliche Dichte allein macht noch kein funktionierendes Stadtquartier, beim Paketpost-Areal wurde sie ins Extrem gesteigert: Die Geschossflächenzahl, die die geplante Geschossfläche im Verhältnis zur Grundstücksfläche angibt, erreicht hier schwindelerregende 5,5 5) - ein in München noch nie erreichtes Maß. Damit wurden Investor Ralf Büschl zigtausend Quadratmeter Geschossfläche „geschenkt“, die ein lukratives handelbares Gut darstellen. Im Gegenzug soll er die denkmalgeschützte Paketposthalle sanieren, zugänglich machen und betreiben. Geförderte Wohnungen werden in den (ebenfalls sehr dichten Geschossbauten) entstehen, in den Wolkenkratzern sind vor allem freifinanzierte Wohnungen vorgesehen und solche für Menschen, die in Mangelberufen arbeiten (unklar bleibt allerdings, wie viele) – dafür wird aber ein „Concierge-Service“6) schon erwähnt. Der Bereich unmittelbar vor den beiden Wolkenkratzern ist für einen längeren Aufenthalt vor allem wegen der für Hochhäuser typischen Fallwinde „weniger geeignet“ 7), so das Windgutachten.

  1. https://risi.muenchen.de/risi/sitzungsvorlage/detail/7430737 2 )https://www.innovationsschmiede-ffr.de/
  2. https://stadt.muenchen.de/infos/buerokomplex-richard-strauss-strasse.html
  3. https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/in-muenchen-praegen-bald-drei-imposante-tuerme-das-stadtbild-art-980213
  4. Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2147, S. 41
  5. Ebd., S. 34
  6. Ebd., S. 80

Viele Fragen sind noch ungeklärt, wie z.B. die Funktionsfähigkeit der Erschließung des Quartiers sowie die „autofreie“ Abwicklung des Verkehrs an der Oberfläche, die Leistungsfähigkeit des vorhandenen Straßennetzes oder der Zugang zur S-Bahnstation. Aber eines ist absehbar: mit der zu hohen Baudichte, zu wenig Freiraum, kaum nutzbarem Grün sind Nachbarschaftskonflikte und „Dichtestress“ vorprogrammiert und zusammen mit der hohen Versiegelung (dreistöckige Tiefgarage unter großen Teilen des Areals) sowie mangelnden Auffangkapazitäten für Regenwasser wird hier eine „Hitzeinsel“ entstehen und bei Starkregen ist mit Problemen beim Abfließen und Versickern des Wassers zu rechnen. Die angestrebten Qualitäten in einem „lebenswerten, sozial- und nutzungsgemischten, resilienten, nachhaltigen Quartier“ werden mit dieser Planung nicht erreichbar sein.

Fazit: lieber mit Bedacht und Augenmaß

Die Beispiele zeigen, dass die selbst auferlegten Leitlinien der Hochhausstudie nur teils oder gar nicht eingehalten werden. Das wirft die Frage nach dem Wert der Leitlinien auf und zeigt zugleich, dass die vollmundigen Versprechungen der Realität nicht standhalten können und sich größtenteils in Luft auflösen. Hochhäuser und Wolkenkratzer werden die Wohnraumkrise nicht lösen. In ihnen entstehen in der Regel hochpreisige Wohnungen, sie können das Stadtbild erheblich beeinträchtigen und sie sind aufgrund der hohen Bauanforderungen und Flächenverluste – wie inzwischen vielfach untersucht8)– ein ökologisches Fiasko. Klassische Quartiere in Blockrandbauweise, wie in der Münchner Innenstadt und den sogenannten Innenstadtrandgebieten wie Neuhausen, Schwabing, Haidhausen etc. schaffen eine urbane Dichte und Lebensqualität ohne die negativen Begleiterscheinungen.

Unsere Forderung an eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung...

Die Bodenpreisspirale darf durch eine deregulierte Hochhauspolitik nicht noch weiter angeheizt werden. Das Stadtbild Münchens ist darüber hinaus ein wertvolles Gut, mit dem behutsam umgegangen werden muss. Zu hohe städtebauliche Dichten mit zu geringen nutzbaren Grün- und Freiräumen sind zu vermeiden. Hochhäuser in München sollten die 60-Meter-Marke nicht überschreiten und nur dann entstehen, wenn sie die gesellschaftlichen Mehrwerte bezahlbaren Wohnens und städtebaulicher Qualitäten nachweislich bringen. Die Klimakrise darf durch eine enthemmte Bautätigkeit für Hochhäuser nicht weiter befeuert werden. München wird nicht durch Wolkenkratzer zur Weltstadt, sondern durch eine am Gemeinwohl orientierte, zukunftsgerichtete, soziale, ökologische und inklusive Stadtentwicklung.

… bedeutet konkret für das „Paketpost-Areal“ ...

Damit die Ziele für ein lebenswertes Quartier umgesetzt werden können, fordern wir eine deutliche Reduzierung der Geschossflächen im Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2147 „Paketpost-Areal“, um die maximal zulässige Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,0 im Urbanen Gebiet (MU) gemäß Baunutzungsverordnung §17 einzuhalten. Es sollte keine Hochhäuser über 60 m geben und die beiden Hochhaustürme mit je über 150 m dürfen nicht gebaut werden. Darüber hinaus sind erheblich mehr Grün- und Freiflächen auf dem Areal zu realisieren (mindesten vier- bis fünfmal mehr als geplant).

… zur „neuen Hochhausstudie“ (2023)

Der Stadtratsbeschluss zur Hochhausstudie muss revidiert werden, im „Räumlichen Leitplan“ der Studie darf es keine „Potenzialgebiete“ mit Hochhäusern über 60 m geben. Unser Vorschlag: Die dort dargestellten Höhenkategorien 4 („Stadtteilzeichen; bis 80 m Höhe“) und 5 („Stadtzeichen; ab 80 m Höhe“) werden aus dem „Räumlichen Leitplan“ entfernt. Die mit diesen Höhenkategorien eingefärbten Zonen werden der Höhenkategorie 3 („Quartierszeichen; bis 150 % Überhöhung gegenüber der Traufhöhe“) zugeordnet.

8 ) https://www.br.de/nachrichten/wissen/nein-beton-hochhaeuser-sind-nicht-nachhaltig-ein-aktenfuchs,UHRpGeq

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

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