Am Mittwoch, 23.05.2023, hat Stadtrat Dirk Höpner seinen Beschwerdebrief wegen Nichtbeachtung des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ an die Regierung von Oberbayern übergeben. Im Namen der Fraktion ÖDP/München-Liste wird ausgeführt, dass in den letzten Wochen praktisch alle Entscheidungen gegen das Bürgerbegehren und damit gegen den Erhalt von städtischen Grünflächen getroffen wurden. Untermauert wird dies durch die Nennung von 11 Stadtratsbeschlüssen, in denen die bisherige Planung unverändert angenommen und damit entgegen dem Sinn des Bürgerbegehrens entschieden wurde. Gefordert wird, diese Entscheidungen für unwirksam zu erklären.
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident ..,
in seiner Vollversammlung am 01.03.2023 befasste sich der Stadtrat der Landeshauptstadt München in öffentlicher Sitzung unter TOP A1 mit dem Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten“.
Dieses Bürgerbegehren wurde mit Stadtratsmehrheit übernommen und somit hat der Stadtrat entschieden, dass alles zu unternehmen ist, damit sowohl die im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Allgemeinen Grünflächen als auch die Öffentlichen Grünflächen entsprechend der gültigen Grünanlagensatzung erhalten bleiben und nicht weiter versiegelt werden.
Nach Art. 18a Abs. 14 Satz 1 GO entfällt der Bürgerentscheid, wenn der Gemeinderat die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahme beschließt. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Gemeinderat dem Anliegen des Bürgerbegehrens tatsächlich in vollem Umfang entsprochen hat.
Mittlerweile gab es insgesamt elf „Allgemeine Grünflächen“, die Bestandteil von Stadtratsbeschlüssen waren:
- Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 08484 Kirschgelände Allach
- Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 07592 Erdbeerfeld Obermenzing
- Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 08248 Botanikum München Moosach
- Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 09587
(mit insgesamt sechs aktuelle Bauleitplanverfahren mit Bezug zu Allgemeinen Grünflächen: 5. Bauabschnitt Riem, Heltauer Straße, Friedrichshafener Straße, Stephensonsplatz, Trambetriebshof Fröttmaning, Wohnen an der Parkmeile Neuaubing) - Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 08904 Container-Unterkünfte
Hier sind zwei Flächen betroffen, die Gundermannstraße West (Flst.-Nr. 1070/49) Gemarkung Feldmoching sowie Flurstück 678 in Allach.
Zwei weitere Beschlüsse werden zeitnah gefasst, Bebauungspläne für den Dreilingsweg und für die Siedlung Ludwigsfeld. In nicht-öffentlicher Sitzung (Bauleitplankommission) wurde bestätigt, dass die Planungen unverändert weitergeführt werden.
Somit lässt sich feststellen, dass alle Stadtratsbeschlüsse oder bereits bekannte anstehende Beschlüsse, die Allgemeine Grünflächen betreffen, das vom Stadtrat übernommene Bürgerbegehren im Ergebnis nahezu vollständig ignorieren.
Die gemeindliche Planungshoheit ermöglicht keine Hinwegsetzung über baurechtliche Vorschriften, zu denen essentiell das Abwägungsgebot formell (§ 2 Abs. 3 BauGB) und materiell (§ 1 Abs. 7 BauGB) zählt, da sie nur im Rahmen der Gesetze gilt (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 Bay. Verfassung).
Es ist bei jedem Planungsvorhaben, bei dem ein im Flächennutzungsplan als Allgemeine Grünfläche festgesetztes Gebiet berührt wird, stets eine Abwägung vorzunehmen und in die Abwägung jeweils das per Stadtratsbeschluss übernommene Bürgerbegehren mit seinem Inhalt vollumfänglich als Belang einzustellen, mit seinem besonders großen Gewicht durch die direktdemokratische Unterstützung von rund 60.000 Bürgerinnen und Bürgern zu werten und dementsprechend angemessen auch zu berücksichtigen.
Die nachstehend aufgeführten Sitzungsvorlagen bieten aus unserer Sicht das ganze Spektrum der vier klassischen Abwägungsfehler: Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität.
Eine Stadtratsmehrheit hat sich durch ihr, anhand der Sitzungsprotokolle nachprüfbares, Diskussions- und Abstimmungsverhalten in den Stadtratssitzungen die Abwägungsfehler der Sitzungsvorlagen zu eigen gemacht oder noch um eigene Abwägungsfehler vermehrt, so dass unseres Erachtens die getroffenen Stadtratsentscheidungen großteils in formeller und materieller Hinsicht rechtsfehlerhaft sind. Dies ist nicht hinnehmbar. Insbesondere kann es auch nicht sein, dass sich bei (fast) jeder Stadtratsentscheidung der Belang des übernommenen Bürgerbegehrens nicht im Ergebnis auswirkt, da damit die durch Stadtratsbeschluss, auch zur
Vermeidung eines Bürgerentscheids, vorgenommene mehrheitliche Übernahme des Bürgerbegehrens ohne materielle Wirkkraft bliebe und damit eine rein formale Übernahme zum Scheine wäre.
Wir ersuchen Sie, alle in Zusammenhang mit Allgemeinen Grünflächen getroffenen Stadtratsbeschlüsse (s.o.) zu beanstanden und die Verwaltung der Landeshauptstadt München aufzufordern, in Beschlussvorlagen die Übernahme des Bürgerbegehrens als präferierte Handlungsoption zu behandeln. Zudem sind alle geplanten Beschlüsse, die Allgemeine Grünflächen betreffen, unverzüglich (d.h. innerhalb von zwei Monaten) dem Münchner Stadtrat zur Abstimmung über Einstellung oder modifizierte Weiterführung der Planungen vorzulegen, da es nicht angehen kann, dass die Verwaltung Planungen unverändert und unbeeindruckt vom Stadtratsbeschluss über die Annahme des Bürgerbegehrens fortsetzt.
Wir begründen unsere Position wie folgt:
- Sämtliche Beschlussvorlagen der Verwaltung der LHM ignorieren den Münchner Stadtratsbeschluss. Aufgrund dieses Beschlusses müsste die Verwaltung die Erhaltung der Allgemeinen Grünflächen in den Vordergrund stellen, d.h. alles unternehmen damit diese erhalten werden. Alle bisherigen Vorlagen präferieren jedoch eine andere Lösung. Alternativen, die eine Berücksichtigung des übernommenen Bürgerbegehrens aufzeigen, wurden in keinem einzigen Fall aufgezeigt, in Einzelfällen in die Zukunft verschoben. Eine Abwägung zwischen den beiden Alternativen (Grünflächen-Erhaltung versus Bebauung) wurde somit in keinem einzigen Fall sachgerecht durchgeführt.
- Das Bürgerbegehren fordert einen vollständigen Erhalt der Allgemeinen Grünflächen und präferiert diese gegenüber jeder Art von Bebauung. Der Münchner Stadtrat präferiert jedoch allgemeine Themen wie Wohnbebauung, Verkehrsentwicklung oder Entwicklung von Flächen für sozialen Bedarf. Diese generelle Abwägung ist jedoch nicht zulässig, denn sie widerspricht dem übernommenen Bürgerbegehren. Laut Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern darf über eine generelle Nichteinhaltung des übernommenen Bürgerbegehrens nicht der Münchner Stadtrat entscheiden, sondern es wäre dafür ein Bürgerentscheid notwendig.
- In der Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 09587 werden sechs aktuelle Bauleitplanverfahren weitergeführt. Alle widersprechen dem übernommenen Bürgerbegehren. Eine Abwägung im Einzelfall findet nicht entsprechend den etablierten rechtlichen Standards für (baurechtliche) Verfahren statt, sondern nur durch selektive Berücksichtigung einzelner Abwägungskriterien und deren oberflächliche Abhandlung.
- Bei der Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 08904 werden mögliche Standorte für Unterkünfte vorgeschlagen. Über eine einstellige Anzahl von Unterkünften hat der Stadtrat abgestimmt. 150 Standorte standen ursprünglich zur Diskussion. Selbstverständlich wäre es möglich gewesen alternative Standorte vorzuschlagen, die das übernommene Bürgerbegehren nicht verletzen. Aber an diesen Standorten standen oft andere Arten der Bebauung im Vordergrund. Dem Stadtrat war es nicht möglich über alternative Standorte zu entscheiden, denn diese wurde ihm nicht vorgelegt und die Entscheidung damit von der Verwaltung getroffen.
Die Fraktion ÖDP/München-Liste könnte beispielsweise alternative Standorte zur Gundermannstraße im Stadtbezirk 24 nennen. Eine Erhaltung der dortigen Allgemeinen Grünfläche wäre somit möglich. Hier zeigt sich, dass die LHM nicht alles unternommen hat, um die Allgemeinen Grünflächen vor einer Bebauung zu schützen.
Das Flurstück 678 in Allach ist neben einer Allgemeinen Grünfläche auch eine Frischluftschneise, welche auch im Stadtentwicklungsplan 2040 als solche gekennzeichnet ist. In der Beschlussvorlage fehlen sämtliche Hinweise auf diesen Belüftungskorridor, sodass eine Abwägung dem Stadtrat nicht möglich war. - Laut Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 08904:
„Das mittlerweile vorliegende Bürgerbegehren muss den Standorten ebenfalls nicht entgegengehalten werden, jedenfalls, solange es sich nicht um ausgebaute öffentliche Grünflächen gemäß Grünflächensatzung handelt.“
Diese Formulierung widerspricht dem übernommenen Bürgerbegehren. - Eine Mehrheit des Stadtrates möchte, dass bei geplanten Baugebieten (Bauleitplanverfahren) die bisherigen Allgemeinen Grünflächen nach Flächennutzungsplan unbeachtet bleiben. Geplant wird ohne Rücksichtnahme auf diese Flächen. Stattdessen will man oft eine ähnlich große oder eine kleinere Fläche an anderer Stelle, auch außerhalb des Planungsgebietes umwidmen. Eine derartige Verschiebung ist jedoch nach dem Wortlaut des Bürgerbegehrens nicht zulässig.
- Die Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 07592 zum Erdbeerfeld Obermenzing zeigt, dass die Planungen in Allgemeinen Grünflächen unverändert fortgeführt werden, obwohl noch nicht alle alternativen Planungen abgeschlossen wurden. Diese Beschlussvorlage widerspricht dem übernommenen Bürgerbegehren. Dem Münchner Stadtrat wurden alternativen Planungen, die das Bürgerbegehren berücksichtigen noch nicht vorgelegt. Eine alternative Planung unter Berücksichtigung und Erhalt der Allgemeinen Grünflächen wurde und wird vermutlich nicht vorgelegt.
- Die Planungen in München Ludwigsfeld mit ca. 50 % der Bauvorhaben auf Allgemeinen Grünflächen, die als Entwicklungsziel des Flächennutzungsplans der Landeshauptstadt München dort vorgegeben sind, gehören unverzüglich eingestellt. Eine Fortsetzung der Planung verletzt das Bürgerbegehren, die Stadtverwaltung ignoriert absichtlich den Stadtratsbeschluss. Eine alternative Planung unter Berücksichtigung und Erhalt der Allgemeinen Grünflächen wurde und wird vermutlich nicht vorgelegt.
- Eine pauschale Abwägung, wie beispielsweise in München-Ludwigsfeld, Wohnungen gegen Allgemeine Grünflächen, verletzt das Abwägungsgebot im Zusammenhang mit dem Bürgerbegehren. Laut Aussage des Planungsreferates können in der LHM noch Wohnungen für 75.000 Einwohner gebaut werden, auch darüber hinaus gibt es noch erhebliches Potential. Selbstverständlich gibt es Alternativen, wobei diese in den getroffenen Abwägungen nicht dargestellt werden.
- Die Bindungsfrist bei einem Bürgerentscheid beträgt 1 Jahr. Auch in der Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 09587 wird darauf Bezug genommen. Die Stadtverwaltung setzt alle ihre Planungen unverändert fort und setzt darauf, dass in einem Jahr möglicherweise andere Entscheidungen getroffen werden. Hiermit wird das Bürgerbegehren absichtlich unterlaufen, denn alle bisher getroffenen Entscheidungen widersprechen dem Bürgerbegehren. Das Bürgerbegehren betrifft auch viele laufende Bauleitplanverfahren. Über diese wurde mit Stadtratsmehrheit nicht sofort entschieden, sondern erst im laufenden Verfahren. Auch damit werden Entscheidungen über die Bindungsfrist hinaus verschoben.
Die Verwaltung betreibt hier aktiv Politik, um ihre aktuellen Bauleitplanverfahren unverändert fortsetzen zu können. Stattdessen sollte das übernommene Bürgerbegehren als Handlungsrichtlinie dienen.
Wir fordern in Bezugnahme auf das übernommene Bürgerbegehren eine zügige Entscheidung über alle betroffenen Allgemeinen Grünflächen und das übernommene Bürgerbegehren erste Wahl bei Beschlussvorlagen bleiben.
Alle bisherigen Beschlüsse in diesem Zusammenhang sind somit unwirksam.