München, den 22. Juli 2021
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Verena Dietl, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,
als organisierte und im Bereich „Klima“ stark engagierte zivilgesellschaftliche Organisationen begrüßen wir ausdrücklich, dass mit dem vorgestellten Klimapaket im Zuge einer zu beschließenden „Klimastrategie München“ nun ernsthafte Schritte zu mehr Klimaschutz und Klimaanpassung unternommen werden sollen. Wir hoffen sehr, dass – entgegen der Andeutungen der Gutachter*innen – damit ernsthaft das Ziel Klimaneutralität 2035 angestrebt wird (und nicht 204X) – alles andere wäre angesichts der sich immer weiter verschärfenden Klimakrise inakzeptabel.
Als Zivilgesellschaft haben wir uns intensiv am Online-Beteiligungsprozess für das Gutachten Klimaneutralität München 2035 beteiligt. Dabei haben zahlreiche ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen sehr viel Wissen, Energie und Zeit investiert, um fundiert die Empfehlungen der Gutachterinnen zu kommentieren und weitere wichtige Empfehlungen zu ergänzen. Daher freuen wir uns ausdrücklich, dass sich einige wichtige Forderungen und Empfehlungen in der Beschlussvorlage für den Grundsatzbeschluss I wiederfinden: z. B. wirksame Klimaneutralitätsprüfung (mit Projekt-Ablehnung, wenn nicht klimaneutral), regelmäßiges Treibhausgas-Monitoring, Maßnahmen-Priorisierung nach CO2-Wirksamkeit, Berechnung von Klimafolgekosten. Wir begrüßen zudem, dass Klimaschutz und Klimafolgenanpassung mit dem Grundsatzbeschluss I nun den nötigen Stellenwert in Stadtverwaltung und -politik bekommen (z. B. durch die Ansiedlung des Lenkungskreises bei der 2. Bürgermeisterin).
Dennoch können wir die vorgelegte Beschlussvorlage leider nicht als zufriedenstellend werten:
Wir können derzeit nicht erkennen, dass in der Beschlussvorlage die Ergebnisse des Online-Beteiligungsprozesses zur Klimaneutralität München 2035 (www.089klimaneutral.de) dezidiert aufgegriffen wurden bzw. wie diese künftig berücksichtigt werden sollen. Dies betrifft zunächst insbesondere alle die Themenbereiche, die von den Gutachter*innen eher nachgeordnet behandelt wurden, nichtsdestotrotz für das Ziel der Klimaneutralität Münchens von erheblicher Bedeutung sind: z. B. alle „nicht-energetischen“ Treibhausgas-Emissionsbereiche (wie Stadtentwicklung, Bau-Bereich, Konsum/Ernährung etc.). Wir sehen es nach wie vor kritisch, dass insbesondere der Schwerpunktbereich „Energie“ (Kohleverbrennung, Erdgas-Großkraftwerk, Geothermie-Strategie, Wärmestudie, SWM-Erdöl-/Erdgas-Förderung etc.) aus dem Beteiligungsprozess ausgeklammert und nicht vertieft behandelt wurde.
In der Beschlussvorlage wird zwar auf das Fachgutachten für die Klimaneutralität Bezug genommen, aber es wird nicht explizit erläutert, ob und wie die Ergebnisse des Online-Beteiligungsprozesses dokumentiert werden, von der Verwaltung bzw. den Gutachter*innen zu berücksichtigen sind, im Stadtrat diskutiert und dann in die Klimastrategie einfließen sollen.
Obwohl wir nur wenig Informationen darüber hatten, ob die Gutachter*innen die Ergebnisse aus der Beteiligung adäquat berücksichtigen werden, haben wir uns intensiv mit den vorgeschlagenen Maßnahmen auseinandergesetzt und zusammen mit weiteren Akteuren rund 100 ergänzende Vorschläge und eine Vielzahl Erläuterungen und vertiefende Kommentare eingereicht. Wir möchten als Zivilgesellschaft nicht „für den Papierkorb“ arbeiten, sondern davon ausgehen können, dass der Online-Beteiligungsprozess nur ein Auftakt einer kontinuierlichen langfristigen Beteiligung auch der organisierten Zivilgesellschaft ist – wie dies auch vom RKU zugesagt wurde. Dies spiegelt sich in
der Vorlage des Grundsatzbeschluss I aber noch nicht wider.
Mit dem Grundsatzbeschluss I soll ein Rahmen für die künftige (Weiter-)Entwicklung der Klimastrategie Münchens und deren Umsetzung geschaffen werden, so wie es der Stadtrat im Dezember 2019 beschlossen hat. Um dieses Ziel zu erreichen, muss aber auch ein Rahmen für eine wirkungsvolle, transparente und kontinuierliche Bürgerbeteiligung geschaffen werden. In der Vorlage wird der ursprüngliche Stadtratsbeschluss von 2019 zunächst nur teilweise aufgegriffen: „Die für den Klimaschutz relevanten Akteure, insbesondere Fridays-for-Future, werden in die Erarbeitung
eines Maßnahmenplans für ein klimaneutrales München 2035 fortlaufend eingebunden“ (Ziffer II.15 der Beschlussvorlage). Der Verweis auf diese Ziffer zeigt dann aber, dass damit anscheinend lediglich die Einrichtung eines „Klimarats“ gemeint ist, nicht aber ein laufender Beteiligungsprozess aller Sektoren der Stadtgesellschaft und dessen (vertiefte) Fortführung oder eine breitere Bürgerbeteiligung. Der Hinweis, dass später noch Vorschläge für Beteiligung im Bereich Nachhaltigkeit erfolgen sollen, ist für uns nicht ausreichend.
Obwohl wir die Einrichtung eines (zusätzlichen) Fachgremiums generell für sinnvoll erachten, sehen wir den „Klimarat“ in der vorgeschlagenen Form nicht als zielführend an, um eine breite Beteiligung der Stadt- und Zivilgesellschaft zu ermöglichen und sicherzustellen, dass Politik und Stadtverwaltung sich mit externem Rat aus der Zivilgesellschaft angemessen auseinandersetzen. Dies ist schon in der vorgelegten Satzung für den Klimarat angelegt: In dem jetzt vorgeschlagenen 13-köpfigen Klimarat bilden die Vertreterinnen aus Politik und Verwaltung die Mehrheit; unter den sechs externen Vertreterinnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft dürfen dann voraussichtlich also nur zwei Vertreter*innen der Zivilgesellschaft besetzt werden, die der Stadtrat auf drei Jahre beruft. Dies ist u. E. nicht ausreichend für ein fortlaufendes Einbinden und Beteiligen der Zivilgesellschaft –Die mehrjährigen Erfahrungen aus der Energiekommission haben uns gezeigt, dass weder der wissenschaftliche, noch der zivilgesellschaftliche Rat und die vielen vorgebrachten Ideen und Anträge aufgegriffen werden, noch in relevantem Umfang Niederschlag in
Stadtratsentscheidungen finden, wenn nicht die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Wir verweisen auf den von der Münchner Initiative Nachhaltigkeit erarbeiteten Vorschlag für einen Nachhaltigkeitsrat und das geplante Hearing zur Nachhaltigkeitsstrategie. Aus unserer Sicht sollten Nachhaltigkeit und Klimaneutralität nicht nebeneinander, sondern unter Nutzung der vielfältigen Synergien im Einflussbereich der Stadt strategisch, programmatisch und operativ über Instrumente und Maßnahmenpakete – und in kontinuierlicher Beteiligung der Stadtgesellschaft – weiterentwickelt werden.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Bürgermeisterinnen, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, das, was aktuell vorgelegt ist, entspricht nicht dem uns Zugesagten und auch nicht dem Erforderlichen:
- Wir erwarten, dass Bürgerbeteiligung und Beteiligung der Stadt- und Zivilgesellschaft maßgeblich und als kontinuierlicher Prozess in die Satzung zur Umsetzung der Münchner Klimaziele aufgenommen werden: Unter Paragraph 7 (2) sollte ergänzt werden: “Bei der Aufstellung und der Fortschreibung der Klimastrategie werden auch weitere ökologische, wirtschaftliche und soziale Belange sowie eine kontinuierliche Beteiligung der Münchnerinnen und Münchner sowie der organisierten Stadt- und Zivilgesellschaft berücksichtigt.
- Wir erwarten, dass die Ergebnisse aus dem Online-Beteiligungsprozess auf 089klimaneutral.de und den vier Workshops zusammen mit den Beteiligten ausgewertet werden. Die Ergebnisse müssen u. E. – auch für den Stadtrat – dokumentiert und veröffentlicht, (wissenschaftlich) bewertet und ggf. ergänzt werden und dann die ernstgemeinte Chance erhalten, maßgeblich in die Münchner Klimastrategie einfließen zu können.
- Wir erwarten ferner, dass der begonnene Beteiligungsprozess als kontinuierlicher Prozess weitergeführt und intensiviert wird.
Denn: Ohne faktische und ernstgemeinte Beteiligung, positive Einbindung und proaktive Unterstützung aller Sektoren der Stadtgesellschaft und möglichst vieler Münchner*innen wird die Weiterentwicklung und vor allem die Umsetzung der Klimastrategie nur schwer zu erreichen sein.
Wir freuen uns auf eine weitere, tiefgehende und anhaltende Beteiligung und Kooperation – auch mit allen Beteiligten in Verwaltung und Rathaus-Politik – um gemeinsam Wege zum baldigen Erreichen der Klimaneutralität Münchens zu finden und gemeinsam mit allen Menschen aus allen Bereichen der Stadtgesellschaft zu beschreiten.
Mit klimafreundlich-engagierten Grüßen
Fridays For Future München
Lena Schiemann für Students For Future München
Helena Geißler, Maren Schüpphaus, Hannah Henker für die Münchner Initiative Nachhaltigkeit
Fenya Kirst, Lukas Horndasch, Dr. Helmut Paschlau für das Netzwerk Saubere Energie München
Dr. Stephanie Hirn, Verena Steindl für München muss Handeln
Netzwerk Klimaherbst e.V.
Susanne Egli für Extinction Rebellion
Daniela Schmid, Vincent Fricke, Lucia Rizzo für den Münchner Ernährungsrat
Dr. Rudolf Nützel für den BUND Naturschutz in Bayern e.V. – Kreisgruppe München
Protect the Planet
Raus aus der Steinkohle
Hintergrund aus dem Stadtrat – hier der link zum
Grundsatzbeschluss I, (Vollversammlung vom 28. Juli 2021 – Umsetzung Klimaziele) der Landeshauptstadt
https://www.ris-muenchen.de/RII/RII/DOK/TOP/6737618.pdf
Auszüge:
„…2. Die Ausführungen der Referentin zu den Leitsätzen in den Handlungsspielräumen beim kommunalen Klimaschutz werden neben den Zielen der klimaneutralen Stadtverwaltung 2030 und der Klimaneutralität Münchens 2035 als Grundzüge der Klimastrategie der Landeshauptstadt München beschlossen. …“
(zu den Handlungsspielräumen s. https://buergerdialog.online/2021/07/30/stadt-muenchen-klimapaket-2021/)
„…5. Das Referat für Klima- und Umweltschutz wird beauftragt, nach einem fachlich anerkannten Standard (derzeit BISKO) die THG-Bilanz für das Gebiet der Landeshauptstadt München regelmäßig zu berechnen. Die nächste Bilanz bezieht sich auf das Bilanzjahr 2019 und wird voraussichtlich Ende 2021 im Stadtrat bekannt gegeben.
…
14. Die Satzung zur Einführung eines Klimarates der Landeshauptstadt München … Die Anzahl der berufenen Mitglieder und der jeweiligen Vetretung setzt sich wie folgt zusammen:
1. aus dem Stadtrat, mit insgesamt fünf (5) Personen …
2. aus der Wissenschaft (drei Personen), der Zivilgesellschaft (drei Personen) und der Wirtschaft (drei Personen) mit insgesamt neun (9) Personen …“
<<<<<<<<<<<<<
eine recht gute Zusammenfassung des offenen Briefes findet sich übrigens hier:
https://energienetzwerk-muc.de/klimastrategie-muenchen-buergerbeteiligung-ignoriert/